Bundestag beschliesst mit breiter Mehrheit die Netzzensur

Über Zensur und die gute Zensursula können andere (siehe unten) besser schreiben. Trotzdem sei auch an dieser Stelle kurz erwähnt, dass der Bundestag gestern mit den Stimmen der großen Koalition die Zensur des bisher aus Deutschland frei zugänglichen Internets beschlossen hat.

Abgesehen von den vielen Gegenmeinungen und Alternativvorschlägen in Presse und Blogosphäre wurden auch die 134.014 Stimmen (der Punkt ist das Trennzeichen für die Tausenderstellen und nicht die Nachkommastellen) der ePetition gegen die Sperrung von Internetseiten von unserendiesen Volks-Vertretern (Namensliste der Abstimmung im Bundestag) eiskalt ignoriert und mit dem von ihnen verabschiedeten Gesetzesentwurf die Kinderpornografie besser hinter einem Vorhang versteckt – ganz nach dem Motto “Aus den Augen aus dem Sinn” – als wirklich effektive Maßnahme zur deren Bekämpfung zu ergreifen.

Gutgläubig hatte man noch gehofft, dass die Bundesregierung über ein geeignetes Expertengremium verfügt oder zumindest den Drang verspürt, sich über alternative und wirksamere Maßnahmen gegen die Verbreitung von Kinderpornografie ausreichend zu informieren, bevor man in die Freiheitsrechte des Einzelnen so grundlegend eingreift. Spätestens durch die Antwort des Bundestages auf die Anfrage der FDP-Fraktion (siehe Beitrag “Die Bundesregierung hat keine Kenntnis, will aber sperren” bei ODEM.org) ist sehr deutlich geworden, dass der Begriff “ahnungslos” am besten den Informationsstand vieler Abgeordneten beschreibt, die gestern zu dieser Entscheidung beigetrangen haben.

Angst machen sollte einem nicht nur die Zensur an sich, sondern auch die Art der Umsetzung. Laut dem Gesetzesentwurf 16/13411 soll die täglich vom BKA aktualisierte Liste der zu sperrenden Seiten mindestens quartalsweise von einem Expertengremium “auf der Basis einer relevanten Anzahl von Stichproben” auf Korrektheit überprüft werden. Die Mehrheit der 5 Mitglieder des Gremiums muss als Qualifikation die Befähigung zum Richteramt vorweisen, dass beruhigt … so bleiben zumindest noch 2 Plätze für Experten, falls doch noch irgendwo welche aufgetrieben werden können. Damit wird also sicher gestellt, dass auch bewußt falschfälschlicherweise indizierte Seiten nie wieder frei zugänglich gemacht werden …

Klar war auch, dass die Zensurinfrastruktur – sobald etabliert und gesetzlich verankert – ebenfalls für die Sperrung ganz anderer “Inhalte” eingesetzt werden soll. Vor allem im CDU Lager mangelt es dann plötzlich nicht mehr an der sonst so fehlenden Kreativität: Killerspiele (Thomas Strobl), Gewaltseiten (Annette Schavan), Urheberrechtsverletzungen (Wolfgang Börnsen, Dorothee Bär), Glücksspiele (Jürgen Büssow, SPD) …

Bevor es mit der Zensur munter weitergeht, sollten sich unsere Regierung und die Parteien vielleicht eher mit dem “Phänomen” Internet als solches noch etwas eingehender auseinander setzen.

Was auf deutschen Servern passiert und gehostet wird, ist wie in jedem anderen Medium hier in Deutschland klar gesetzlich geregelt. Die in diesem Artikel angesprochenen “Inhalte” sind illegal und können und werden zivil-/strafrechtlich verfolgt. Somit stellt das Internet in Deutschland (wie aber auch in vielen anderen Ländern) keinen – wie so gerne zitierten – “rechtsfreien Raum” dar.

Vielmehr scheint die Regierung bei der Bekämpfung rechtswidriger Inhalte vollkommen hilflos und in jeder Hinsicht überfordert zu sein, sobald diese im Ausland gehostet sind und – World Wide Web charakteristisch – auch von Deutschland aus zugreifbar sindwaren.

Vor Jahrzehnten (damals ohne Internet, Computer und dem ganzen Gelumpe) hat einen Straftäter noch die Flucht ins Ausland vor der Ahndung seiner Taten gerettet. Aber gibt es heutzutage nicht speziell dafür etablierte Wege und Mittel, solche Leute grenzübergreifend zu fassen, weitere Taten zu verhindern und das, ohne dabei die Freiheit der eigenen Bevölkerung einzuschränken? Vielleicht kann man diesen Ansatz aufgreifen und für das Zeitalter des Internets entsprechend erweitern? Für Wirtschafts-, Militär- und Menschenrechtsfragen gibt es ja schon seit langem entsprechende Organe mit weltweiter Kompetenz.

An Ideen scheint es nicht zu mageln (siehe zum Beispiel “Gutachten: BKA könnte mehr zum Löschen von Kinderpornos beitragen“) … es fehlen nur die Parteien und Regierungsvertreter, die bereit sind dieses Thema beherzt und mit Verstand anzugehen.

Oder will man den Verschwörungstheoretikern weiter Zulauf geben, die die Meinung vertreten, dass Kinderpornografie nur ein Mittel zum Zweck ist, um in Deutschland wieder die Zensur einzuführen? Bei dem eindeutigen Abstimmungsergebnis und dem bisher produzierten Irrsinn scheint es ja nicht gerade aus der Luft gegriffen zu sein.

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